Ray & Liz
Richard Billingham, GB, 2018o
Banlieue de Birmingham dans les années 80. Ray, Liz et leurs trois enfants se débrouillent tant bien que mal dans une existence déterminée par des facteurs qu’ils ne maîtrisent pas. Le photographe et cinéaste Richard Billingham retrace en trois souvenirs et trois époques différentes le quotidien tumultueux de sa famille.
Il suffit d’une chanson grésillant dans un transistor reprise en murmures par le vieil alcoolique pour déchirer ce rideau naturaliste et rappeler, tout au bout de cette rengaine d’existences mortes nées, que Ray et Liz est aussi et surtout, peut-être, un grand film d’amour fou.
Vincent MalausaInstantanés d’une enfance dans le chaos des années Thatcher, Ray & Liz est un portfolio déglingué et formidablement émouvant d’un outre-monde qui se passe bien des sentiments, d’une zone grise du monde trop longtemps refoulée et expulsée par son réalisateur.
Clément DeleschaudEin Alptraum-Paar sind Ray und Liz, in Lethargie und Alkoholismus gefangen, unfähig, sich um ihre beiden Kinder zu kümmern. Der britische Künstler Richard Billingham breitet in seinem großartigen Spielfilmdebüt die Erinnerungen an seine eigene Kindheit aus, in einer dysfunktionalen Familie in einer Sozialwohnung in Birmingham - ohne jede Sentimentalität, aber in Bildern, die sorgsam arrangiert ihre eigene Geschichte erzählen.
Susan VahabzadehGalerie photoso
Der britische Künstler Richard Billingham hat einen Film über seine dysfunktionale Familie und das England der Sozialwohnungen gedreht.
Als Richard Billinghams Fotobuch «Ray is’n Witz» 1996 im Zürcher Scalo-Verlag herauskam, schwankten die Reaktionen zwischen Bewunderung und Entsetzen. Denn Billingham fotografierte seinen alkoholkranken Vater Ray und die übergewichtige, kettenrauchende Mutter Liz fast schon abstossend ehrlich. Dennoch schaffte er es, inmitten von Dreck, Elend und Verwahrlosung eine verquere Schönheit aufs Bild zu bannen. Nun, gut zwanzig Jahre später, kehrt Billingham zu den Motiven aus den Anfängen seiner Karriere zurück – diesmal als Filmer. Sein in England für den nationalen Debütpreis nominierter Film «Ray & Liz» kommt bei uns in die Kinos. Wir sprachen mit dem 48-jährigen Regisseur in Zürich.
Herr Billingham, warum kehren Sie thematisch zu Ihren Eltern Ray und Liz zurück?
Lassen Sie mich mit einer Frage antworten: Wie wirke ich auf Sie? Wie ein typischer Vertreter der Mittelklasse?
Mhhm, ja. Sie wirken wie ein Lehrer. Das sind Sie auch, nicht wahr? Professor an einer Kunstschule?
Exakt. Ich bin nun ein respektabler Bürger, und ich kann meinen Kindern alles bieten: gute Schulen, gesundes Essen, Betreuung rund um die Uhr. Und doch macht mich die Beobachtung ihrer Kindheit nachdenklich.
Warum? Weil die Ihre so viel schwieriger war?
Meine Kindheit war jedenfalls anders. Deshalb wuchs in mir der Wunsch, unsere häuslichen Szenen von damals so authentisch wie möglich in einem Film zu rekonstruieren. Bevor ich selbst Vater war, hatte ich das Bedürfnis nicht.
War das Thema mit der Serie von 1996 nicht erledigt?
Diese Bilder damals machte ich nur für mich, weil das meine vertraute Welt war und ich etwas in ihr sah, was die anderen nicht sahen. Ich habe mich sogar lange dagegen gewehrt, die Serie öffentlich auszustellen, weil ich sie als privat empfand. Doch nachdem ich an 16 Universitäten abgelehnt worden war, wollte ich unbedingt für eine Kunstausbildung zugelassen werden. Durch einen Zufall erfuhr der Verlag Scalo von meinen Fotos und schlug mir vor, das Buch zu machen. Ich hoffte, dass das Werk mit einem Empfehlungswort von Robert Frank es dem Auswahlkomitee schwerer machen würde, mich abzulehnen. Es hat geklappt.
Rays Alkoholkrankheit und Liz’ Apathie sind in den Fotos und nun auch im Film sehr sichtbar: die vernachlässigten Körper, die Verletzungen, die schmutzige Umgebung. Schämt man sich als Kind dafür?
Ich habe mich nicht geschämt. Unser Leben unterschied sich nicht stark von dem anderer Kinder in der Schule, damals in Birmingham. Sie waren auch arm, wir waren alle arm. In der Schule sahen die anderen zwar nicht arm aus – ich schon –, aber ich erinnere mich an den Gestank, als ich sie besuchte. Bei meinen Schulfreunden roch es streng, bei den einen nach Pisse, bei anderen nach Kot.
Und bei Ihnen zu Hause?
Bestimmt stank es auch bei uns, aber man gewöhnt sich an den eigenen Gestank. Beim eigenen Speichel weiss man auch nicht, wie er schmeckt.
Der Film ist brutaler als die Fotos. Etwa wenn der Untermieter den Onkel betrunken macht und die Mutter anstiftet, ihn zu schlagen. Verlangt das Medium Film nach solchen Szenen?
Ich habe nichts erfunden. Vielleicht habe ich die Handlung etwas verdichtet, damit sich die Szenen nicht zu lange dahinziehen. Ich erinnere Sie aber daran, in wie vielen Filmen heute Köpfe abgeschlagen werden oder sonst Blut in Strömen fliesst. Das nenne ich brutal.
Im Film sieht man auch, wie Ihr kleiner Bruder ohne jede Aufsicht mit einem Messer hantiert oder mit dem Gasherd spielt. Danach wird er in Pflege gegeben – zu spät?
Nein! Wir hatten eine glückliche Kindheit, auch wenn es schwerfällt, das zu glauben. Wir konnten machen, was uns gerade in den Sinn kam. Wenn wir mit jemandem spielen wollten, klopften wir einfach an seine Tür. Oder wir spielten direkt auf der Strasse. Meine Kinder haben heute ein derart verplantes Leben, als ob sie schon berufstätig wären. Und sie sind verängstigt, weil sie immerzu vom Klimawandel und der Naturzerstörung hören. Wir wussten nichts und fühlten uns sicher.
Die Figur Ihres kleinen Bruders Jason ist im Film zentral – war er einverstanden?
Ich habe ihm den Rohschnitt gezeigt, und er sagte nur: Genau so war es. Also denke ich, er hat nichts dagegen. Nachdem der Film für den Bafta-Debütpreis nominiert worden war und ihn auch gewonnen hatte, waren wir beide sowieso sprachlos.
Warum?
Unsere Mutter hat die Preisverleihung immer im Fernsehen geschaut. Jetzt ist sie auf eine seltsame Weise auch ein Teil davon, dank dem Film. Mirakulös. Meine Eltern sind übrigens beide schon seit mehr als einem Jahrzehnt tot.
Ihre Fotoserie wurde damals breit diskutiert. Viele sahen in Ihrer ungeschminkten Darstellung eine Kritik am Grossbritannien der Thatcher-Ära. Zu Recht?
Die Interpretation ist dem Zuschauer überlassen. Meine Absicht war jedenfalls nicht Polemik. Ich wollte weder schockieren noch aufrütteln.
Man hat die Bilder auch als Metapher des britischen Gemütszustands gesehen.
Ein Kritiker schrieb damals etwas von der «britischen Trägheit und Resilienz». Aber ich weiss nicht …
Angesichts der Brexit-Debatte fragt man sich schon, was denn los ist mit den Briten ...
Ich war kürzlich in der nordenglischen Stadt Sunderland. Im Stadtzentrum sieht es wie überall aus. Aber wenn man in die Vororte geht, stösst man auf verfallene Fabriken, geschlossene Pubs. Darum stimmen die Armen für den Brexit, dachte ich dort – weil sie denken, dass danach alles wie früher werden wird, dass diese Gebäude wieder zum Leben erwachen.
Als Künstler sind Sie inzwischen ein romantischer Landschaftsfotograf geworden. Werden Sie trotzdem noch als der Fotograf von Ray und Liz wahrgenommen?
O ja, wenn man meinen Namen googelt, kommen zuerst fünf Seiten mit meiner Arbeit über die Familie. Man könnte denken, ich hätte nie etwas anderes gemacht.
Ärgert Sie das?
Nein. Es ist einfach so. Vermutlich schauen sich die Menschen lieber Menschen als Landschaften an.