Bäckerei Zürrer
Kurt Früh, Suisse, 1957o
Emil Hegetschweiler dans le rôle du brillant boulanger Zürrer. Autrefois premier film urbain de Suisse - aujourd'hui un grand classique qui n'a pas pris une ride.
Der Film kündigt eine neue Generation von Filmen, neue Themen, Figuren und eine neue Körperlichkeit der SchauspielerInnen an. So hat man auch die Stadt noch nie im Schweizer Film gesehen: Strassenszenen, Hinterhöfe, Cafés und Beizen mit ihren sozial Abgestürzten oder die Radrennbahn in Oerlikon, die Massen, die sich hier versammeln. All das ist mehr als nur Dekor, es ist der moderne Alltag, der auf die Figuren und die Geschichte einwirkt. Kurt Früh verabschiedet sich mit Bäckerei Zürrer von der intakten Schweizer Kleinbürgerfamilie seiner früheren Filme. (Auszug)
Margrit TröhlerGalerie photoso
Eine Woche lang ist der Streifen im Zürcher Kino Kosmos zu sehen. Und der Filmklassiker zeigt: Früher war gar nicht alles besser.
Da steht ein brandneues Rennrad auf der Offenen Rennbahn Oerlikon. Zwei junge Männer blicken bewundernd auf es herab und diskutieren dessen Vorzüge. Es ist eine Szene, die sich genau so in diesem Augenblick abspielen könnte – wären die Männer nicht so hipster-atypisch glattrasiert. Auch der Slang der beiden bei der Verhandlung über den Kaufpreis ist seltsam antiquiert. «Du, de Schnapper mues ich ha! Jetzt mues de Vatter eifach de Chlotz füre mache» - «Isch guet, aber de Chlütter mues hüt uf de Tisch. 300 Stei! Übergab am achti vor em Kino Roland.»
Es ist eine Szene des Films «Bäckerei Zürrer» aus dem Jahr 1957. Heini, der Sohn von Bäckermeister Zürrer, will gerade sein sauer verdientes Geld in dieses Rennrad stecken. Doch es sollte alles anders kommen. Denn da ist auch noch Gina, die schöne Tochter des italienischen Gemüsehändlers Pizzani. Und was sie ihrem Geliebten zu sagen hat, bringt alles durcheinander.
Alles ganz anders und doch bekannt
Aber an dieser Stelle soll nicht zu viel verraten werden. Die Geschichte der Familie Zürrer, die an der Zürcher Langstrasse eine Bäckerei betreibt, ist in dieser Schweizer Filmperle ohnehin fast schon zweitrangig. Wer die Tragikomödie von Regisseur Kurt Früh heute anschaut, dürfte vor allem von den Bildern des Quartierlebens jener Zeit fasziniert sein: die Kleider, die Autos, die Waren. Alles ist so ganz anders und doch aufgrund des Settings im Chreis Cheib nicht völlig unbekannt.
Diese Mischung hat es Filmemacher Samir angetan. «Bäckerei Zürrer» sei einerseits sehr auf die lokalen Gegebenheiten ausgerichtet, andererseits hätte die Geschichte überall auf der Welt spielen können. «Die Probleme zwischen Jung und Alt, die grossen Gefühle sind nicht an den Chreis Cheib gebunden, trotzdem ist vieles am Film typisch für dieses Quartier, das zu jener Zeit zum landesweiten Mythos wurde.»
Der Beginn der Gentrifizierung
Seit rund einem Jahr ist das Kulturhaus Kosmos, das Samir mitinitiiert hat, Teil dieses Mythos. Und weil sich der Chreis Cheib allein seit der Eröffnung wieder enorm verändert hat, will er die Geschichte dieses Ortes wieder aufleben lassen und zeigt dazu den Filmklassiker ab dem 12. Juli eine Woche lang im Kosmos. «Wir wollen jüngeren Generationen die Möglichkeit geben, diesen Film im Kino zu sehen, damit sie erleben können, wie damals die Veränderungen im Quartier angefangen haben.»
Erstaunlich aktuell und politisch sehr gescheit sei der Film, schwärmt Samir. «Da ist alles drin, was noch heute Brisanz hat, und die Handlung greift Dingen vor, welche die heutige Gesellschaft prägen.» So hat Früh als erster Schweizer Regisseur die Einwandererproblematik und das multikulturelle Zusammenleben auf die Leinwand gebracht. Auch das Thema Gentrifizierung ist in diesem Film bereits spürbar, wenn ein findiger Makler dem alten Bäcker das Haus an der Langstrasse abkaufen, es abreissen und an seiner Stelle eine Garage bauen will. «Ich sehe mir das Objekt noch an», sagt er dem Bäckermeister, «aber es geht uns ja mehr um den Boden.»
Flirten auf der Langstrasse
Fast identisch mit der heutigen Situation an der Langstrasse sind auch die Szenen vom abendlichen Ausgang im Film: Auf dem Trottoir ist der Teufel los. Wenn alles zum «Schwofen» loszieht, wird geflirtet, was das Zeug hält und auf der Tanzfläche ist es ebenso eng wie Samstagnacht im Club Zukunft. Sogar Blind Dates gab es damals schon, wie eine herzerwärmende Liebesgeschichte zwischen der Zürrer-Tochter Trudi und einem Unbekannten zeigt. In Prä-Tinder-Zeiten wurden die Treffen allerdins noch per Annonce eingefädelt.
Samir ermöglicht mit der Programmierung des Filmklassikers dem Publikum eine rund zweistündige Zeitreise. Dabei gehe es nicht darum, Vergangenem nachzutrauern oder Altes wiederzubeleben. «Wir finden es einfach wichtig, dass man die sozialen Veränderungen seit jener Zeit versteht und einen Bogen schlagen kann von damals zu heute.»
Primär sollen die Zuschauer aber einfach auch Spass haben. «‹Bäckerei Zürrer› ist nämlich nicht nur politisch hochaktuell, sondern auch eine wunderschöne, multikulturelle Liebesschmonzette, die das Herz rührt. Wir finden den Film sogar so gut, dass wir uns überlegen, ihn jeden Sommer ins Programm aufzunehmen.»